Nun aber mal hopp...

Eine Jugend in Rendsburg

Beschreibung

Gedanken und Erinnerungen an eine Schulzeit in Rendsburg. Das Buch zeigt auf, wie Jugendliche vor 50 Jahren in einer Mittelstadt lebten. Ziemlich bieder und doch nicht langweilig.

Aus dem Vorwort: "Wer sich einen guten Monat lang morgens an den Schreibtisch setzt, um in den Erinnerungen zu kramen, erlebt reichlich Überraschungen. Allerlei Nebensächlichkeiten tauchen auf, als wären sie nicht vor einem halben Jahrhundert, sondern erst vor wenigen Monaten geschehen. Bei wichtigen Ereignissen dagegen streikt nicht selten das Gedächtnis, als habe jemand die Festplatte gelöscht. Auch glaubt man sich an etwas zu erinnern, was sich bei Nachprüfungen als Irrtum herausstellt. Da es sich bei diesem Buch um keine wissenschaftliche Darstellung handelt und die Geschichte der Stadt und der Herderschule bei meinem ehemaligen Lehrer Edward Hoop bestens aufgehoben ist, bin ich auch nicht in die Tiefen der Archive getaucht. Erinnerungen enthalten stets Ungenauigkeiten..."

Informationen

Seiten: 138
ISB-Nummer: 3935441118
Verlag: Verlag der Buchhandlung Reichel Rendsburg
Ausstattung: Gebundene Ausgabe
Erscheinungsdatum: Oktober 2007

Leseprobe

1. Kapitel / Die Ankunft:

So sehr ich auch im Gedächtnis suche, die Ankunft in Rendsburg will sich nicht finden lassen. Davor gibt es reichlich Erinnerungen: An den Aufbruch im pommerschen Tempelburg, auch an die Zeit in Schwerin. Aber die erste Fahrt über die Hochbrücke hat merkwürdigerweise keinen Eindruck hinterlassen. Dabei müsste das stählerne Wahrzeichen der Stadt auf einen Sechsjährigen doch eigentlich einen mächtigen Eindruck gemacht haben. Oder sollten wir doch mit irgendeinem Fahrzeug über die Drehbrücke zur Wiedervereinigung mit meinem Vater in die heimliche Hauptstadt des Landes gereist sein?

Man fragt die Eltern zu deren Lebzeiten viel zu wenig. Umso deutlicher sind dagegen die Erinnerungen an den ersten Wohnsitz. Wahrscheinlich deshalb, weil er mitten in einem Wald lag. Im Nobiskrüger Gehölz. Dort, wo später das Jugendaufbauwerk einzog, um Heranwachsende auf das Berufsleben vorzubereiten. Doch was nach außen idyllisch wirkte, das war im Inneren ziemlich elend. Einst beherbergte das Gebäude mit der angrenzenden Veranda ein Tanzlokal, nach Kriegsende diente es der Unterbringung von Flüchtlingen. Dicht an dicht waren zweistöckig Betten aufgestellt, mit Wolldecken hatten die Familien ihr winziges Reich vor den Nachbarn abgegrenzt.

Uns standen vier Schlafstätten zu. Für Vater, Mutter, Großmutter und mich. In der Mitte des Raumes befanden sich einige Tische, an denen gegessen wurde und an denen die Kinder anschließend spielen durften. Mit leeren Streichholzschachteln, die zu Schiffen, Lastwagen und Panzern umgebaut worden waren. Sowie es das Wetter zuließ, verlagerte sich das Leben nach draußen. Dort gab es reichlich, was drinnen fehlte, nämlich frische Luft und viel Platz. Allerdings auch Arbeit. In Eimern und in Stahlhelmen sammelten Kinder und Erwachsene Eicheln und Bucheckern, vor allem aber auch Holz, auf das die eisernen Kanonenöfen zum Kochen und zum Heizen dringend warteten.

Viel reizvoller aber als das, was über der Erde zu finden war, das waren die Schätze aus dem Untergrund. Als die britischen und amerikanischen Sieger über die Drehbrücke in Rendsburg einmarschierten, erging auf deutscher Seite der Befehl: Waffen vergraben, wer weiß, vielleicht brauchen wir sie noch. Das Nobiskrüger Gehölz war offenbar ein besonders geschätztes Versteck, denn wo immer man in den Waldbogen vordrang, gab er Pistolen, Munition und anderes Kriegsmaterial frei. So wie sich heutzutage ein Sechsjähriger bei den Eltern zum Spielen verabschiedet, hieß es damals: „Wir gehen zum Graben.“ Auf den Gedanken, dass dies gefährlich werden könnte, kam offenbar niemand, der Krieg hatte schließlich ganz andere Risiken gehabt. Und merkwürdigerweise ist auch nie etwas passiert. Wo die brisanten Funde landeten, entzieht sich meiner Erinnerung. Möglicherweise unter irgendeinem Bett im großen Schlafsaal.

Und dann gab es auch noch eine rollende Einnahmequelle. Nur etwa hundert Meter von den Gebäuden entfernt verläuft der allmählich in Richtung Hochbrücke ansteigende Bahndamm, der die Fahrt der Züge verlangsamte. Wir kannten genauestens die Ankunftszeiten des nach Skandinavien fahrenden Nordexpress. Die blauen Wagen mit den goldfarbenen Aufschriften waren für uns der Inbegriff einer unerreichbaren, luxuriösen Welt, die darin Reisenden allesamt Millionäre.Näherte sich der Zug, kletterten wir den Damm hinauf und winkten, was die Arme hergaben. Nicht aus Begeisterung über die Menschen, die es sich leisten konnten, im rollenden Schlaraffenland in eine vom Krieg offenbar verschonte Region zu reisen, sondern allein deshalb, weil wir vom Wohlstand profitieren wollten.

Und fast immer erfüllte sich die Hoffnung. Aus den Fenstern flogen Süßigkeiten, belegte Brote, Obst, manchmal aus dem Küchenwagen sogar Koteletts. Wer am günstigsten platziert stand und zudem gut fangen konnte, brachte die meiste Beute nach Hause. Bei späteren Reisen durch Afrika erinnerten mich die Wurfsendungen aus dem Busfenster und die sich draußen balgenden Kinder an jene Zeiten, als die Rollen noch vertauscht waren.

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